Interview mit TECNOLUMEN-Gründer Walter Schnepel

Walter Schnepel gründete 1980 die Bremer Leuchtenmanufaktur TECNOLUMEN. Im Interview redet er unter anderem von der Idee des Bauhaus, einem spontanen Besuch bei Wilhelm Wagenfeld und dem Reiz, Dinge selbst zu gestalten.

Sie sind über die Kunst zum Bauhaus gekommen. Als Kunstsammler haben Sie mit Bildern der Klassischen Moderne begonnen und später vor allem Fluxus-Werke erstanden – welche Parallelen sehen Sie zwischen Bauhaus und Fluxus?

Das ist schwierig. Ich würde sagen, streichen Sie die Frage, denn man kann nicht alles erklären. Im Allgemeinen kennen wir immer nur diesen geometrischen Stil des Bauhauses, das aber ist gar nicht das Ganze. Denn im Bauhaus waren auch Expressionisten dabei. nehmen Sie beispielsweise Paul Klee, wo ließe sich der einsortieren? Wir messen die Schule immer an den Ergebnissen in der Architektur und dem Design. Zusammen mit der Kunst muss man das jedoch anders betrachten. Da finden sich Künstler, die ganz anders gearbeitet haben, expressionistisch, fast surreal.

Selbst ein Gyula Pap arbeitete später expressionistisch. Die Bildenden Künstler am Bauhaus haben nicht nur abstrakt, gegenstandslos oder wie die Engländer sagen „hard edge“ gearbeitet. Lediglich Kandinski und Moholy malten konsequent ungegenständlich. In einer Schweizer Ausstellung zum Surrealismus entdeckte ich neulich Paul Klee und Hans Arp. Es gibt erstaunliche Verbindungen.

Bauhaus und Fluxus gemeinsam ist der Gedanke, weg zu kommen von der Dekoration. Sucht man nach einer konkreten Verbindung, könnte man die intellektuelle Spiritualität als eine solche nennen. Zum Beginn der Bauhaus-Schule gab es parallel in Zürich die DADA-Bewegung, die natürlich ihren Einfluss auf die Künstler am Bauhaus hatte. Fluxus wiederum hat seine Wurzeln in der DADAKunst. Es entstand aus der konkreten sowie der abstrakten Poesie. Fluxus ist trotzdem kein Bauhaus-nachfahre, allerdings genauso weit gestreut, denn es gibt expressionistische, teils literarische Werke. Kurt Schwitters, wenn Sie wollen sogar christian Morgenstern, und das Bauhaus, alles ist so eng miteinander verzahnt, dass sich die Frage im Grunde nicht eindeutig beantworten lässt. und doch gibt es einen kleinen Hinweis auf die Zusammenhänge, einen Künstler, der das Ganze von den 1920er-Jahren bis zum Fluxus immer getragen hat: Marcel Duchamp. Er hat viel konkrete Kunst gemacht, aber auch surrealistische. Insofern ist Bauhaus und Fluxus für mich gar nicht so weit voneinander entfernt.

Sie haben mal gesagt: „Kunst, Design und Musik sind Medien zur Kommunikation, keine Sprache, die man logisch erlernen oder gar übersetzen kann.“ Steht die Idee des Bauhauses mit seiner Forderung „form follows function“ dem entgegen, fordert genau eben diese intellektuelle Auseinandersetzung?

Ja und nein. Schon von den Bauhaus-Formgebern wurden Artefakte von unbekannten Handwerkern wie z. B. Gebrauchsgegenstände der bäuerlichen Kultur geschätzt. Auch diese Gegenstände entsprechen der Forderung „form follows function“ ohne intellektuellen Anspruch. Kunst ist für mich ein Kommunikationsmittel, welches sich nicht übersetzen lässt. Kunst muss man ganzheitlich aufnehmen, mit emotionaler Intelligenz. Als ich noch etwas jünger war, arbeitete ich für TECNOLUMEN im Außendienst. Immer wenn mir ein Plagiat gezeigt wurde, sagte ich: Stellen Sie unsere Leuchte daneben. Wenn Ihr Kunde es sieht und begreift, dann kauft er unsere Leuchte, sieht er es nicht, dann soll er mit dem Plagiat glücklich werden. Das hat funktioniert. Erklären lässt es sich nicht. Es geht um Proportionen, um etwas Abstraktes – das muss man spüren. Man muss es gar nicht mal wissen, was stimmt oder nicht stimmt. Auch zwischen den Werkstücken des Bauhauses gibt es unbedeutende Entwürfe, obwohl sie den vermeintlichen Regeln folgen. Deutlich wird es insbesondere an jenen kleinen Goldschmiedearbeiten. Marianne Brandt ist für mich eine große Künstlerin in diesem Bereich. Sie hat Dinge entworfen, die, denke ich, sehr emotional sind. natürlich gibt es Erklärungen zu den Werkstücken, zum verwendeten Material, zur Form, aber diese Erklärungen erfolgten sicherlich hinterher.

„Ohne Kunst könnte ich nicht leben. Ich muss sie um mich haben. Warum, kann ich nicht erklären.“

Findet sich das Bauhaus in Ihrem Unternehmen wieder?

Schwer zu sagen. Einige Mitarbeiter haben verstanden, was unsere Werkstücke ausmacht. und es wird auf jeden Fall sichtbar über Einrichtung und Produkte. Das Bauhaus ist spürbar, wenn man es möchte. Bei „Jungen Designern“ entscheiden wir aus dem Bauch heraus, ob wir ihre Entwürfe in unser Programm aufnehmen. Wir haben die gesamte Kollektion immer vor Augen. und so passen sich die neuen Entwürfe stimmig in das Bestehende ein.

Nicht Bauhaus, sondern durch Holzschnitte wurden Sie 1976 auf Wilhelm Wagenfeld aufmerksam. Was begeisterte Sie damals an diesen Bildern?

Diese expressionistischen Holzschnitte entdeckte ich durch Zufall in einem Worpsweder Archiv. Zunächst war ich überrascht, weil ich nur Wilhelm Wagenfelds spätere Arbeiten und seine Entwürfe für Lindner kannte. Ich besuchte ihn daraufhin spontan in Stuttgart und wir unterhielten uns lange, wobei er die frühen Holzschnitte als „Jugendsünde“ abtat. Ich kann nur bemerken: eine gekonnte „Jugendsünde“. Er selbst hatte ebenfalls noch ein paar. Einige habe ich schließlich erstanden, denn für mich gehören sie zum Gesamtwerk Wilhelm Wagenfelds.

Bauhaus war eine Schule und vermittelte neben dem Gestalterischen auch eine bestimmte Idee, die Welt zu betrachten. Ist Bauhaus für Sie eine Art Lebensphilosophie, deren Geist sich heute noch vermitteln lässt?

Einigen schon, ja. Es ist schwer zu sagen, weil es Grauzonen sind. Viele schätzen das Bauhaus-Design, besitzen eine Wagenfeld- Leuchte und sind entsprechend eingerichtet. Laufe ich in Budapest durch die Antiquitätenläden, dann ist jeder eckige Schrank dort dem Bauhaus zugeordnet, obwohl allein das „Eckige“ überhaupt nichts aussagt. und doch wissen die wenigsten, dass Bauhaus eine Schule war. Es gibt hervorragende, von ungarischen Bauhaus-Architekten entworfene Gebäude, einen ganzen Straßenzug in Budapest, die napraforgó utca (Sonneblumenstraße). Diese entstand etwas später als Bauhaus, in den frühen 1940er-Jahren etwa. Wie diese Gebäude aber renoviert wurden, entspricht nicht dem Geiste des Bauhaus. Heute hat das Bauhaus für viele eine Vorbildfunktion. Man muss es nicht genauso machen, aber man kann daran lernen. Schematisch aber lässt es sich nicht lernen, man muss es spüren. Richtige Regeln gab es ohnehin nicht. Dieter Rams beispielsweise lernte nicht am Bauhaus, hat aber dessen Geist erfasst. Seine Entwürfe kamen aus dem Gedanken des Bauhaus.

 Die Herstellung und der Vertrieb der WA24 war zu Beginn kein Leichtes. Material ging zu Bruch oder war unbrauchbar, kein Möbelhaus hatte Interesse an diesem kühlen Design. Die bereits produzierten 250 Stück haben Sie trotzdem verkauft – innerhalb von drei Wochen. Waren Sie immer vom Erfolg überzeugt?

Ja. Dazu eine Anekdote: In einem Telefonat mit meiner damals noch in Schweden lebenden Frau, fragte ich nach der Adresse des Kunstgewerbemuseums in Göteborg, um dort ein Prospektblatt hinzusenden. Ich war überzeugt, dass dieses Museum eine Leuchte kaufen würde. und tatsächlich bekam ich nach wenigen Tagen den Auftrag für eine Leuchte vom Röhsska-Museum in Göteborg . Selbstverständlich gehört zu einem solchen Projekt die Überzeugung, dass dieses ein Erfolg werden wird.

Kopien und Fälschungen sind ein Thema, welches Sie seit Ende der 1980er-Jahre begleitet. Ist es noch immer ein Ärgernis?

Die Situation hat sich nicht verbessert, sondern ist durch die Möglichkeiten des Internets noch komplexer geworden. Es ist schwierig, dem einen Riegel vorzuschieben. In anderen Ländern gelten andere gesetzliche Rahmenbedingungen. Da kann man nur auf das Gespür der Menschen hoffen, dass sie original und Plagiat auseinanderhalten können.

Mit Ihrem Unternehmen TECNOLUMEN verkaufen Sie nicht nur die berühmte Wilhelm-Wagenfeld-Leuchte, Sie selbst haben Lampen entworfen – was reizt Sie daran, Dinge selbst zu gestalten?

In unserer Kollektion fehlte damals etwas und wir wollten das Angebot breiter aufstellen, daher der Entwurf der Leuchten mit Stoffschirmen. Wir hätten natürlich jemanden beauftragen können. Durch das Selbstentwerfen aber konnten wir bereits Vorhandenes verwenden. Manche Designer haben keine Vorstellung von der Technik und wissen daher nicht, was möglich ist. Zudem hat es mich gereizt, das durch die intensive Beschäftigung mit den Bauhausentwürfen Gelernte anzuwenden und etwas Eigenes zu gestalten. Gestaltung hat etwas mit Emotionen zu tun. und wenn man den Goldenen Schnitt anwendet, kann man nichts falsch machen.

Veränderungen gab es im technischen Bereich: Die gute alte Glühlampe wurde durch effizientere LED-Leuchtmittel ersetzt. Was hat sich hierdurch für die Leuchten verändert?

Im Design der Bauhaus-Leuchten hat sich nichts geändert. Bei neuen Entwürfen werden die aktuellen technischen Möglichkeiten in das Design eingebunden.

Apropos Veränderungen: Mit Blick auf aktuelles Design und Einrichtungsstil, passt die Wagenfeld-Leuchte in heutige Wohnzimmer?

In gut eingerichtete Wohnungen passt sie immer. obwohl Einrichtungstrends heute meines Erachtens künstlich hergestellt werden. Zurzeit muss es teuer sein, aber schäbig aussehen – absurd. Bei aktueller Kunst ist es ebenso. Vieles ist sehr angestrengt. Was ich mit großem Bedauern beobachte, ist, dass es immer weniger Einrichtungshäuser gibt. Die Menschen kaufen mittlerweile im Internet.